Hamburger Abendblatt 13.März 2006
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Entschlacken, Entgiften, Entspannen

Fasten: Erholung für Leib und Seele - oder eine unnötige Quälerei? Sieben Tage lang nichts essen - und sich dabei noch wohl fühlen. Ein Protokoll gewollter Askese.

von Serena Klein

Jesus hat 40 Tage lang gefastet, bevor er öffentlich wirkte. Und Moses saß 40 Tage lang nur bei Wasser in der Steinwüste des Berges Sinai, ehe er die zehn Gebote verkündigte. Ich bin kein Prophet, habe noch nie gefastet und will es daher langsam angehen: Sieben Tage Fastenkursus mit Wandern und Yoga im "Haus der Stille" in Berlin-Wannsee. Die über 100 Jahre alte Villa am Kleinen Wannsee ist der perfekte Ort, um Seele und Magen baumeln zu lassen. Hier gibt es weder Restaurants mit lockenden Essensgerüchen noch Supermärkte mit vollen Regalen. Und das ist gut so. Denn mit Essen ist in Kürze Schluß. Schon heute steht nur Obst auf dem Plan. So fällt es morgen leichter zu verzichten. Denn dann heißt es: eine Woche lang nur Kräutertee, Gemüsebrühe und mindestens drei Liter Wasser am Tag. Damit man im radikalen Kostverzicht nicht allein auf weiter Flur steht, gibt es Mitleidende. Zusammen sind wir 20 Frauen und Männer, die unter Anleitung eines erfahrenen Fastenleiters ihren Körper entschlacken wollen. Die Auszeit vom Alltag ebnet auch den Weg zur geistigen Ruhe. In der abendlichen Vorstellungsrunde erzählt Thomas (46), erfolgreicher Anwalt aus Berlin: "Meine Arbeit steht seit vielen Jahren im Mittelpunkt. Deshalb hat meine Frau mir den Gutschein für diese Woche zu Weihnachten geschenkt. Ich bin froh, daß ich hier bin und Zeit habe, wieder zu mir selbst zu finden." Als ich an die Reihe komme, gebe ich ehrlich zu, bei Arbeitsstreß panikartig zum Schokoriegel zu greifen, nur um schnell genug Energie zum Denken zu haben. Dazu das überhastete Essen in der Kantine, im Kopf schon den nächsten Termin. Das rächt sich - Magenschmerzen, Völlegefühl und Müdigkeit sind die Folge. Fasten unterbricht den Teufelskreis für einige Tage und hilft, die ungesunde Ernährungsweise zu ändern. Fastenleiter Franz Moesl nickt uns zu: "Schon Mahatma Gandhi hat einmal gesagt, unser Eßverhalten spiegelt unser Bewußtsein wieder." Das Fasten beginnt mit einem Löffel Glaubersalz oder Rizinusöl vor dem Schlafengehen, denn zum Fasten muß der Darm leer sein.


Der erste Tag

Sieben Uhr. Der Wecker klingelt erbarmungslos. Wozu aufstehen, wenn es nichts zu essen gibt? Mit müden Augensitzen wir vor unseren Teetassen und schauen uns wie Mitglieder eines verschwörerischen Geheimbundes grimmig an: Von nun an wird jeder Morgen nach Salbei, Fenchel und Kamille schmecken. Danach beginnen zwei Stunden Yoga. Das hilft, den Stoffwechsel anzuregen und treibt die Entschlackung an. Ohne Frühstück im Bauch läßt die Kraft schnell nach. Ich schleiche in den Teeraum und nasche einen Löffel Honig. Wenn der Kreislauf schlapp macht, sind ein bis zwei Teelöffel am Tag erlaubt.

Endlich. Die anstrengenden Übungen sind zu Ende - Zeit für den Leberwickel. Da die Leber bei Entschlackung auf Hochtouren arbeitet, ist es gut, sie durch feuchte Wärme bei ihrer Entgiftungsarbeit zu unterstützen. Mit der Wärmflasche auf dem Bauch lege ich mich ins Bett und schlafe sofort ein. Im Traum gehe ich zu meinem Lieblingsbäcker und kaufe ein Stück Käsetorte.

Mittag! Jeder, der schon einmal gefastet hat, weiß, es ist der Höhepunkt des Tages! Zu allem Überdruß ist die Küchencrew unpünktlich. Der aufkeimende Ärger verschwindet mit dem ersten Löffel im Mund, auch wenn es nur eine klare Gemüsebrühe ist.

Der zweite Tag

Ich friere, obwohl die Heizung bis zum Anschlag aufgedreht ist. Mies gelaunt stehe ich auf, rasende Kopfschmerzen lähmen mich. "Mach einen Einlauf", rät Franz, "dann geht es dir bald besser." Am Nachmittag wandern wir stundenlang durch den nahegelegenen Wald. Meine Lippen sind blau vor Kälte und die Beine zittern. Ich nehme den Bus zurück. Am S-Bahnhof Wannsee angekommen, gehe ich schnurstracks in ein Café - und bestelle eine große Tasse Milchkaffee. Muß ja keiner wissen. Leben kehrt in mich zurück. Die Welt ist schön.

Der dritte Tag

Ein Wunder ist geschehen. Die Kopfschmerzen und das ewige Frösteln sind weg. Franz erkundigt sich nach unserem Befinden. Die meisten scheinen über den Berg zu sein. Etwa vom dritten Tag an hat sich der Körper völlig auf Ausscheidung eingestellt und auf eine Art Notprogramm umgeschaltet: Glücklich und aktiv machende Hormone gelangen vermehrt ins Blut. Sie stimulieren Körper und Psyche, um neue Kraft für die Nahrungssuche aufzubringen und das Hungern schnellstmöglich zu beenden. Ein biologischer "Trick", der wirkt. "Mir geht es prima, ich könnte Bäume ausreißen", sagt Thomas. "Na ja, ein bißchen schwach in den Knien fühle ich mich schon. Es wäre nur ein kleiner Baum."

Der vierte Tag

Ich bin in die Stadt gefahren und spaziere auf dem Kurfürstendamm. Trotz der Bratwurstverkäufer und Döner-Buden am S-Bahnhof Zoo kommt kein Hunger auf. Wahnsinn! Ein völlig neues Gefühl.

Der fünfte Tag

Wir sprechen über die Tage nach dem Fasten: Was man essen sollte und was nicht. Ich gerate ins Träumen und sehe Apfelkuchen vor meinem geistigen Auge. Aber nein, nach dem Fasten nichts schwer Verdauliches. Jetzt, wo der Darm träge geworden ist, kann das im Ernstfall zu Blähungs-Katastrophen führen. Besser ist es, in den nächsten Tagen gedünstetes Gemüse zu essen. "Die Wochen danach," erklärt Franz, "habt ihr ein gutes Lebensgefühl, ihr fühlt euch leicht und genießt mehr."

Der sechste Tag

Der übliche Tagesablauf: Tee trinken, Yoga, Leberwickel, klare Brühe, Spazierengehen, Ausruhen, Tee trinken, Yoga und Gespräche, wieder eine Tasse Tee. Aber nur noch bis morgen, dann ist es vorbei! Einige fertigen schon Einkaufslisten an.


Der siebte Tag

Franz hält einen Korb Äpfel für uns bereit. Wer will, kann das Fasten jetzt abbrechen - oder zu Hause weitermachen. Kaum jemand greift in den Korb. Auch ich nicht. Wiederdaheim angekommen, werden erst einmal die alten Jeansübergestreift. Sie schlabbern am Po - ein schöner Nebeneffekt. Ich nehme mir Zeit und koche seit langem wieder für mich selbst, genieße jeden Löffel der Möhrensuppe. Wer jetzt wie gewohnt futtert, der füllt die geschrumpften Fettdepots schnell wieder auf.

Im Rückblick

Ob der Verzicht auf Speisen dem Körper tatsächlich gut tut, ist unter Medizinern umstritten. Geschadet hat es mir jedenfalls nicht. Auch drei Wochen später sitzen die Jeans noch locker, die Müdigkeit ist verflogen. Schön ist auch, daß mein Heißhunger auf Süßes verschwunden ist. Ich erinnere mich an die Worte von Hermann Hesse: "Jeder kann seine Ziele erreichen, wenn er denken kann, wenn er warten kann, wenn er fasten kann."