„Mein Fasten-Erlebnis"
von Angela Gatterburg

Wanderfasten

Ich faste mindestens einmal im Jahr. Mein Mann findet das behämmert. Er verbindet mit Fasten eine entbehrungsreiche Zeit ohne Genuss, denkt an körperliche Schwäche und zitternde Glieder. Mir egal. Ich fahre aufs Land in die Nähe von Regensburg, ins, „Haus Werdenfels", eine Begegnungsstätte, die Stille, Meditation und Fasten verspricht. Experte für die von mir gebuchte Woche ,,Fasten und Wandern" ist Franz Moesl, der solche Kurse auch auf Teneriffa anbietet, Zum Wandern kommen hier Yoga- Stunden, mehrmals täglich. Nur vier Männer gesellen sich zu den 28 fastenbereiten Frauen. Wer erhofft sich was von diesen nahrungsfreien Tagen?

 

Die meisten wollen ,,zu sich kommen“, ,,ihre Mitte finden“, sich ,,von Giften befreien? Ich will eigentlich nur Fasten und die Natur der Oberpfalz genießen. Eine junge, verheiratete Frau neben mir weint, als sie gesteht, dass sie sich fremdverliebt habe und durch das Fasten darüber hinwegkommen wolle. Sie heißt Christine und tut mir leid. Herr Moesl hört sich alles an. Er ist Mitte vierzig, dünn und hat diese asketisch - vergeistigte Ausstrahlung, bei der man gleich schuldbewusst an seine eigenen Verfehlungen denkt. Mit ruhiger Stimme erklärt er, dass sich Fasten, Yoga und Wandern ausgezeichnet ergänzten. Das Fasten kläre Geist und Seele, das Wandern verhindere, dass der Kreislauf absackt und der Körper Muskeln abbaut, Yoga massiere die Organe von innen und mache in jeder Hinsicht beweglich. Hunger, versichert er uns — und Führt gleich ein verbindliches Gruppen-Du ein —, entstehe nur, wenn der Darm nicht leer sei. Also sollen alle, die es noch nicht hinter sich gebracht haben, abführen. Der Einlauf ist überhaupt das Allheilmittel während der Fastentage. Er soll bei Kopfschmerzen, Bauchweh und überhaupt gegen jede Art von Unwohlsein wirken.

 

Der Ablauf der nächsten Tage sieht so aus: 6.30 Uhr Yoga, 8 Uhr Tee, am späteren Vormittag Leberwickel, um 12 wieder Tee und ab dem zweiten Tag Fastenbrühe, danach eine zwei- bis dreistündige Wanderung. Um 17.30 Uhr noch mal Yoga, gegen 19 Uhr Tee. Um 21 Uhr liege ich im Bett, die ersten zwei Tage bin ich ziemlich müde. Ich habe wilde Träume von Kindern, die ein Zimmer mit Schokolade beschmieren, und von Roland Kaiser, der betrunken in einem Lokal randaliert. Beschwerden habe ich keine, im Gegenteil, ab Tag drei geht es mir bombig, Das ist meistens so, wenn ich faste, aber diesmal ist mein Kreislauf besonders stabil, das Wandern tut mir gut. Inzwischen finde ich Franz nicht mehr vergeistigt, sondern entspannt und humorvoll, kompetent und auf eine angenehme Weise allen Teilnehmern zugewandt. Vor allem jenen, die mit Kreislaufproblemen, Weinerlichkeit, Unruhe und Kopfschmerzen zu tun haben.

„Ich habe wilde Träume

von Kindern, die Zimmerwände

mit Schokolade beschmieren.

Aber sonst geht`s mir bombig

Sechs Tage fasten, wandern, schwätzen, schweigen. Geredet wird während des Wanderns meistens übers Essen. Dabei ist der Hunger eigentlich verschwunden, aber die Gelüste nicht. Es macht Spaß, über Apfelkuchen und Rindsrouladen zu sinnieren. Fünfter Tag: Allen geht es prima, niemand leidet mehr unter Magengrummeln oder Kreislaufschwäche. Auch Christine ist gut gelaunt trotz Liebeskummer. Bei ihr führt das Fasten zu innerer Klarheit. ,,Ich will nicht mehr heulen, sondern handeln“, sagt sie entschlossen. Zwar will sie den Mann nicht mehr, in den sie sich unglücklich verliebt hat, doch habe sie durch ihn erkannt, dass sie ihren Ehemann nicht mehr liebe. Das sei ihr in diesen Tagen bewusst geworden. Vielleicht werden durchs Fasten Erkenntnisse möglich, die sonst schwerfallen? Vielleicht bewirkt es ein Loskommen von Alltagsnervosität und Gewohnheiten, die eher hemmen als nützen? Mir tut das Nicht-Essen gut, aber besonders gut tut mir die Stille- kein Fernsehen, kein Großstadt-Getöse, keine Mails. Keine Nahrung, verbunden mit einem Stopp der äußeren Informationsflut. Ich fühle mich innerlich gereinigt, als ob Geist und Seele ein neues Gleichgewicht gefunden hätten. Mein Mann und ich treffen uns in Regensburg. ,,Diese Fasterei ist mir nicht geheuer“, sagt er kopfschüttelnd. ,,Aber gut siehst du aus. Richtig glücklich.“

 

www.myse|f.de Ausgabe März 2011